Jährlich grüßt das Murmeltier.... Viele stehen nach der Pflanzung eines Obstbaumes oder der Übernahme eines Gartens irgendwann mit der Schere ratlos da. Viele Youtube Videos werden geschaut, Google quasi leer gelesen und danach steht man dann doch wieder in seinem eigenen Garten und hat keine Ahnung was man machen soll.
Tatsächlich ist es ratsam einmal einen Schnittkurs zu besuchen. In der echten Praxis lernt man es einfach am besten. Diese werden öfters von örtlichen Gartenbauvereinen angeboten oder von erfahrenen Obstbauern - oder von mir.
Ich selbst habe einen unglaublichen guten Kurs besucht und dieses Wissen muss unbedingt weitergegeben werden!
Beginnen wir doch mal damit, wieso man einen Obstbaum überhaupt schneiden sollte? In der Natur kommt doch auch keiner daher? Ja stimmt, aber einem Apfelbaum ist es ziemlich egal wie lecker seine Äpfel schmecken, wie groß oder wie ansehnlich sie sind. Er braucht einfach nur viele davon um sich weiter zu vermehren, denn darum geht's in der Natur.
Wir wollen aber schöne, leckere und große Äpfel ernten können. Um das zu erreichen hat der Mensch einiges an Anstrengungen angestellt und über viele Jahrhunderte Erfahrungen gesammelt. Geschichtlich geht die Kultur von Apfelbäumen bis auf die alten Griechen zurück. Die haben auch schon entdeckt, dass man feine Sorten auf robuste Unterlagen veredeln und somit deren Fortbestand sichern kann.
Aber zurück zum Schnitt. Dieser erfolgt stets im Spätwinter und evtl ein zweites mal im Sommer, auf jeden Fall nach dem 21. Juni. Bäume die im Spätwinter geschnitten werden, reagieren mit einem stärkeren Wachstum, im Sommer mit einem schwächeren. Diese Erkenntnis kann man sich zu nutze machen, je nachdem was erreicht werden will!
Je mehr geschnitten wird, desto stärker wird die Reaktion ausfallen.
Sicher hast du schon mal was von Wasserschossern gehört oder Bäume gesehen, denen lauter dünne Zweige wie Haare zu Berge stehen. Hier hat dann wohl jemand ziemlich viel rumgeschnibbelt, woraufhin der Baum mit einem sehr starken Austrieb reagiert hat - den Wasserschossern. Jetzt beginnt leider ein Teufelskreis, denn die vielen dünne Zweige soll man laut Youtube&co ja abschneiden?! Was aber zur Folge hat, dass der Baum mit neuem Wachstum reagiert und so hast du im Folgejahr doppelt bis dreimal so viele Wasserschosser zu entfernen. Was also tun? Generell muss gesagt sein, dass ein verschnittener Baum nicht in einer Saison repariert werden kann. In der Regel dauert dies 2-3 Jahre.
Ein Baum der, ja man muss schon sagen, so misshandelt wurde braucht einen Beruhigungsschnitt. Am besten konzentrierst Du Dich als erstes im Winter darauf das Gerüst zu korrigieren, also die großen Schnitte zu setzen. Dabei fallen automatisch schon mal viele kleine Zweige mit raus. Beginne immer im oberen Teil der Krone zu schneiden und arbeite Dich so nach unten durch. Die Spitze sollte klar definiert sein, denn jeder Baum folgt dem gleichen Wachstumsgesetz - der Mittelspross will hoch hinaus. Solltest Du eine 2. Mitte ausmachen die in etwa gleich hoch ist säge diese heraus, Konkurrenz ist hier schlecht. Am Leittrieb befinden sich die Leitäste die sich meist in mehreren Stockwerken aufbauen. Pro Stockwerk sollten es ca 3 auf unterschiedliche Höhen verteilte Leitäste sein, so bekommt jeder genug Wasser und Licht. Sind sie zu lang kannst Du sie auf einen nach oben zeigenden Ast ableiten, der mindesten 1/3 der Dicke vom zu schneidenden Ast aufweist. Nur so kann der Nährstofftransport weiter fließen und der Baum "erkennt" den Neuling als neuen Leitast an. Schneidest Du vor einem weniger dicken Ast ab kommt es an der Schnittstelle zum "Besentrieb" (neue Wasserschosse). Die ganzen kleine Äste lässt Du jetzt im Winter schön in Ruhe.
Im Hochsommer, wenn das vegetative Wachstum abgeschlossen ist und der Baum sich normalerweise auf seine Früchte konzentriert, kann man beginnen den Zweigesaustall auszumisten. Dabei entfernst du alle nach innnen wachsenden und zu dicht stehenden Zweige. Gut positionierte, z.B schräg nach oben oder zur Seite wachsende lässt du stehen, irgendwo müssen ja mal Äpfel wachsen.
Schneide stets auf Astring, d.h. dicht an der Basis, aber ohne die Rinde zu verletzen. Zweige bis 1cm mit der Handschere, bis 3cm mit der Astschere und darüber mit einer scharfen Klappsäge.
Beachte, dass du pro Schnitt niemals mehr als 1/3 der Gesamtmasse entfernen darfst! Es könnte den Baum komplett schädigen. Wie bereits gesagt kann diese Maßnahme bis zu 3 Jahre dauern.
Sollte dein Baum kaum Äpfel getragen haben kann es sein, dass in der Vergangenheit immer das Fruchtholz entfernt wurde. Es bildet sich erst nach 2 Jahren. Auch dies ist ein Grund warum das jährliche schneiden der Wasserschosser sinnlos ist. Wer dies immer gemacht hat, hat im Sommer einen dicht belaubten Baum aber fast keine Äpfel, denn an steil nach oben wachsenden Ästen bilden sich nur Blätter, die dann die wenigen Äpfel an den Fruchtholzstummeln (die vom vorjährigen schneiden der Wasserschosser entstanden sind) beschatten.
Hast Du dein Gerüst gut aufgebaut wachsen an den Leitästen die Seitenäste an denen die Fruchtbalkone hängen. Die Seitenäste lässt Du einfach wachsen (nicht anschneiden!) und die Fruchtbalkone solltest du erst beschneiden, wenn sie steil nach unten hängen. Es ist ein Zeichen dafür, dass sie abgetragen sind, quasi am absterbenden Ast hängen. Gute Früchte entstehen nur an waagerechten Fruchtbalkonen.
Generell gilt:
steiler, gerader Ast = starkes Wachstum und Blattmasse (beim sehr jungen Baum anfänglich nur solche)
waagerechter Ast = vermindertes Wachstum und Fruchtbildung, nicht beschneiden!
herbahängender Ast = alt und am Absterben, kann entfernt werden
Jetzt kommt das größte Geheimnis, ja die Offenbarung und wahrscheinlich wirst Du jetzt sagen "...das war im Youtube video aber ganz anders" aber mei, so ist es halt einfach:
Schneide jeden Ast auf Innenauge. WHAAAAT????? Seid 120 Jahren predigen die
Gärtner: "Schneide immer auf Außenauge!" Und jetzt das? Genau. Ich predige nämlich das, was die Gärtner noch vor 130 Jahren gemacht haben, bevor der Plantagenanbau unsere Streuobstwiesen verdrängte und am Ende nur ungelernte Landarbeiter den Schnitt übernahmen. Häääää? Ok, die Geschichte des Obstanbaus erzähl ich vielleicht mal wann anders. Aber was hat es jetzt mit dem Augenschnitt auf sich? Was ist denn überhaupt ein Auge?
Wir sprechen hier von Knospen. Durch den Schnitt knapp vor einer Knospe/Auge regen wir diese dazu an, die nächste Astverlängerung zu werden. Ohne Schnitt wäre wohl ein Blatt aus ihr geworden und später mal ein Ast oder ein Fruchtspieß. Wenn sie nach oben schaut, wächst auch der Ast nach oben, schaut sie nach unten wächst der Ast nach unten usw.
Sagen wir also nun, dem nach oben schauenden Auge es soll ein Ast werden, wächst dieser im ersten Jahr erst mal nach oben, ABER: im zweiten Jahr bilden sich an dem neuen Leitast Seitenäste. An diesen werden wieder ein Jahr später die Fruchtbalkone wachsen an denen Äpfel hängen und diese werden durch ihr Gewicht den bisher nach oben wachsenden Ast auf natürliche Weise in eine waagerechte Position bringen....
Ich hoffe ich konnte es verständlich erklären, ansonsten - auch egal.
Merk Dir einfach:
Immer auf Innenauge schneiden und den alten Humbug vergessen!
Tatsächlich gibt es durchaus noch mehr zu erzählen, aber das mach ich dann lieber in einem persönlichen Gespräch. Wenn Du also Hilfe beim Obstbaumschnitt brauchst oder bei der Erziehung deines jungen Bäumchens, dann ruf mich doch einfach an!
Ich freu mich,
fruchtige Grüße
Deine Conny
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